Eine Patientenverfügung steht einer Zwangsbehandlung in einer Forensischen Psychiatrie nur dann entgegen, wenn der Verfasser auch die Unterbringung, die konkrete Behandlungssituation und die möglichen Konsequenzen einer Nichtbehandlung erkennbar miterfassen wollte. Wenn der Patient die Verfügung zu einem Zeitpunkt erstellt hat, in dem er nur gelegentlich Verhaltensauffälligkeiten nicht-aggressiver Art zeigte und eine Unterbringung nicht voraussehbar war, kann da fraglich sein. (BGH, Beschluss vom 15.03.2023 - XII ZB 232/21)
Interessant ist die Entscheidung auch im Hinblick auf eine Beurteilung ob eine konkrete Gefahr vorliegt, die eine solche Behandlung rechtfertigt.
Psychisch kranker Mann soll zwangsbehandelt werden
Ein Mann, der an einer paranoiden Schizophrenie litt, die chronisch zu werden drohte, wurde 2017 per Strafurteil nach § 63 StGB in einer forensischen Psychiatrie untergebracht. Eine Behandlung seiner Krankheit mit Neuroleptika lehnte er strikt ab. Bereits zwei Jahre zuvor hatte er zwei Familienmitgliedern eine Vorsorgevollmacht erteilt, wonach er es jeglicher Person "verbietet, mir Neuroleptika …gegen meinen Willen zu verabreichen…". Während der Unterbringung griff er das Personal wiederholt tätlich an und bedrohte es mit dem Tod. Die Klinik beantragte deshalb beim Amtsgericht Straubing erfolgreich die Erlaubnis, den Mann sechs Wochen lang zwangsweise gegen seine Krankheit mit einer Depotmedizin zu behandeln und deren Verträglichkeit und Erfolg anhand körperlicher Untersuchungen (Blutentnahmen und EKG) zu überprüfen. Der Patient wehrte sich gegen den Beschluss erfolgreich vor dem Landgericht Regensburg. Der Klinikbetreiber wandte sich nun erfolgreich an den BGH.
An Zwangsbehandlung durch Patientenverfügung gehindert?
Nach Art. 6 Abs. 4 Satz 1 Nr. 7b des Bayerischen Maßregelvollzugsgesetzes (BayMRVG) dürften Behandlungsmaßnahmen gegen den Willen des Patienten unter anderem nur angeordnet werden, wenn dessen Patientenverfügung nach § 1827 BGB dem nicht entgegenstehe, so der BGH. Das gilt den Karlsruher Richtern zufolge aber nur, wenn die Patientenverfügung die konkrete Behandlungssituation und die konkrete Behandlung erfasst. Hier sei die Vorsorgevollmacht zwei Jahre vor der Unterbringung und neun Monate vor der Anlasstat erfolgt, zu einem Zeitpunkt also, in dem der Patient nur gelegentlich Verhaltensauffälligkeiten zeigte, die keinen aggressiven Charakter aufwiesen. Der XII. Zivilsenat bezweifelt, dass der Mann bei Abfassung seiner Verfügung überhaupt bedacht hat, dass er einmal untergebracht werden könnte. Zudem sei fraglich, ob er in einer solchen Situation auf der Geltung seiner Verfügung beharrt hätte, was unter Umständen die lebenslange Entziehung seiner Freiheit bedeuten würde. Da das Beschwerdegericht diese Fragen nicht erörtert habe, sei die Sache zurückzuverweisen.
Konkrete Gefahr für andere?
Art. 6 Abs. 3 Nr. 3 BayMRVG erlaubt dem BGH zufolge die Zwangsbehandlung des Patienten, um eine konkrete Gefahr für das Leben oder die Gesundheit einer anderen Person in der Einrichtung abzuwenden. Dieser interne Drittschutz sei auch nicht dahin auszulegen, dass eine erhöhte Duldungspflicht der dort befindlichen Personen im Hinblick auf die eigene Gefährdung bestehe. Angesichts der tätlichen Angriffe des Mannes auf das Personal halten die Karlsruher Richter die Entscheidung des LG, es bestehe keine Gefahr, die eine Zwangsmedikation rechtfertige, für fehlerhaft. Auch die Heranziehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wonach vor der Zwangsmedikation die Isolation und Handfesselung anzuwenden wäre, halten die Bundesrichter für verfehlt: Unter Umständen sei für den Betroffenen eine lebenslange Isolation und Fesselung belastender als die sechswöchige Zwangsmedikation.
Zitat aus Redaktion beck-aktuell, 17. Mai 2023.